Die emotionale Verbindung zu einem Menschen ist eine wichtige – wenn nicht sogar die wichtigste – Grundlage für das psychische Wohlbefinden. Sie durchbricht unsere Einsamkeit und ermöglicht heilsame Erfahrungen. Doch in welchem Ausmaß erleben wir diese Art von Verbindungen, wenn wir ehrlich sind?
Eine Verbindung kann nur dann entstehen, wenn im Kontakt zwischen zwei Menschen keine Blockaden sind. Wie entstehen also solche Blockaden? Eine wesentliche Rolle spielen Konstrukte, wie etwa unser Selbstbild. Wenn wir (konstruierte) Annahmen darüber haben, wer oder was wir sind (oder sein wollen), kann das zu einer Blockade führen.
Zum Beispiel: Eine Person definiert sich gern als selbstbewusst und lehnt unsicheres Verhalten bei sich selbst ab. Dies führt zu einer Schutzschicht, die schützen soll, wie wir uns sehen: in diesem Fall als selbstbewusste Person. Dieser Panzer kann uns zwar helfen, sicher durch den Alltag zu gelangen, steht aber einer echten emotionalen Verbindung im Weg.
Wir steuern in unserem Selbstbild allerdings nicht nur das, was wir sein wollen, sondern auch das, was wir nicht sein wollen. An dieser Stelle kommt die Scham ins Spiel. Scham ist weniger ein Gestaltungsprozess, sondern vielmehr ein Verteidigungsprozess.
Schauen wir uns ein Beispiel an, das bei vielen monogamen Paaren große Scham auslöst: Eine Person hat sexuelle Fantasien mit anderen Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es der Partnerin oder dem Partner genauso geht, ist extrem hoch, und trotzdem wird in den meisten Fällen die Fantasie versteckt, anstatt diese Gemeinsamkeit miteinander zu teilen.
Dass es ein großes Bedürfnis danach gibt, Scham aufzulösen, zeigen sogenannte „Memes“, die erfolgreich in Social Media kursieren. Die meisten von ihnen bestehen aus zwei Komponenten: Humor und Schamauflösung (als Beispiel: ein Foto von eines zotteligen Eisbären, der mühsam aus seiner Höhle kriecht, mit der Überschrift „Wie ich nach zwei Stunden aufwache, nachdem ich einen kurzen Powernap machen wollte“). Die Schamauflösung entsteht dadurch, dass wir feststellen, dass es anderen Menschen ähnlich geht wie uns – was zu dem Gefühl führt, weniger alleine damit zu sein.
Wenn wir verstehen, dass wir mit jeder Schutzschicht, die wir abbauen, uns einerseits psychisch extrem entlasten und andererseits die Verbindung zu unseren Mitmenschen intensivieren, erscheint die Schamerhaltung keine gewinnbringende Option mehr zu sein. Und trotzdem bleibt die Scham – warum? Die Gründe sind vielfältig. Einen wichtigen Einfluss können wir aber benennen: Angst. Die Angst vor der ungewohnten Situation, sich psychisch nackt zu führen. Die Angst davor, komisch zu sein oder aus der Norm zu fallen. Die Angst davor, abgelehnt zu werden oder weniger liebenswürdig zu sein. Doch wer den Mut hat, sich den Ängsten zu widersetzen, wird befreiende Erfahrungen machen und spürbar innigere Beziehungen führen.