Ein Marathonlauf ist eine monotone Beschäftigung. Nach dem Aufwärmen geht es über die Startlinie. Auf der Strecke fliegt alles an einem vorbei. Von innerlicher Überwindung in den Flow. Vom Flow in einen mechanischen Kraftakt. Vom mechanischen Kraftakt in die schlussendliche Erholung nach dem Zieleinlauf.
Wofür das Ganze? Warum Dauerlauf? Warum genau 42,195 Kilometer? Über die Geschichte von Pheidippides oder die Olympischen Spiele 1908 ist selten etwas zu hören – also scheint die historische Tradition nicht im Vordergrund zu stehen. Und trotzdem ist der Marathon weit verbreitet. Viele bewundern es, wenn jemand diese lange Distanz bewältigt. Doch wer kann eigentlich behaupten, dass die Läuferinnen und Läufer, die weniger Strecke zurücklegen, nicht ins Ziel gelangen oder weniger Anerkennung verdienen?
Viele Menschen durchlaufen ihr Leben wie einen Marathon. Das Ziel ist klar definiert und zugleich unhinterfragt. Ein Beispiel dafür sind konstruierte Dinge wie der „lückenlose Lebenslauf“. Die gesellschaftliche Meinung ist hierbei wichtiger als die persönliche. Wer sich nicht von solchen Fantasien löst, zahlt einen hohen Preis: die Ausrichtung an etwas abstrakt Erschaffenem anstatt einer individuellen Navigation durchs Leben.
Mit etwas Abstand betrachtet erscheint es absurd, exakt 42,195 Kilometer zu laufen oder nach einer geradlinigen Vita zu streben. Es lohnt sich also, die Absurditäten unseres Lebens zu hinterfragen, anstatt in ihnen zu verharren und erst dann festzustellen, dass sie mit uns persönlich nichts zu tun hatten, wenn es zu spät ist.